Gesell­schaft­liche Folgen

Digitale Kluft

In gesellschaftlicher Hinsicht ist im Zusammenhang mit den erschwerten Anschlussmöglichkeiten der sogenannte «digital gap» eine zentrale Herausforderung: Das Konzept der digitalen Kluft beschreibt die unterschiedlichen individuellen Zugangsmöglichkeiten zu Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT). Im Mittelpunkt steht die Frage, wie und zu welchem Zweck digitale Technologien und das Internet im Alltag genutzt werden, welche neuen Disparitäten durch das unterschiedliche Nutzungsverhalten entstehen und wie sie sich auf bestehende soziale Ungleichheiten auswirken. Dabei ist heute weniger relevant, wer überhaupt Zugang zu digitalen Ressourcen hat (z.B. Zugang zum Internet), sondern wie diese für die Informationsgewinnung genutzt werden. Informationen sind für die Teilnahme an der Gesellschaft unerlässlich, da sie mit Produktivität, Einfluss, Vernetzung und Macht einhergehen. Im digitalen Zeitalter lösen digitalisierte Informationen analoge Druckerzeugnisse ab. Menschen ohne ausreichende digitale Grundkompetenzen laufen daher Gefahr, bei der Beschaffung, Aufbereitung und Nutzung relevanter Informationen benachteiligt zu werden. Sie sind durch den Informationsmangel von der Ausgrenzung aus dem gesellschaftlichen Alltag bedroht. Zudem fällt es Betroffenen schwerer, ihre erlangte gesellschaftliche Position (im Sinne ihres ‘Status Quo’) zu behalten und sich neue strategische Fähigkeiten – auch in beruflicher Hinsicht – anzueignen.

In diesem Zusammenhang gilt es zu verstehen, welcher Einfluss die digitale Kluft auf die sozialen Machtstrukturen und die Lebensqualität hat und welcher reale Nutzen aus der Anwendung digitaler Ressourcen für Individuen resultiert: Die Digitalisierung verstärkt über den «digital gap» bestehende soziale Ungleichheiten, da vor allem die ‘Informationselite’ profitiert, die bereits über mehr technische, finanzielle, soziale oder kulturelle Ressourcen verfügt. Benachteiligt sind hingegen diejenigen Gesellschaftsschichten, die unzureichend informiert oder vernetzt sind und nicht im Besitz der nachgefragten Fertigkeiten sind. Selbst wenn der Zugang zu digitalen Technologien für breite Bevölkerungsschichten erleichtert wird, werden statusbedingte Unterschiede die digitale Kluft weiterhin prägen.

Die digitale Kluft lässt sich sowohl auf globaler als auch auf nationaler Ebene beobachten. Globale Unterschiede sind meist auf den volkswirtschaftlichen Wohlstand oder den technologischen Fortschritt in den einzelnen Ländern/Regionen zurückzuführen. Nationale Diskrepanzen ergeben sich wie beschrieben oftmals aus sozialen Ungleichheiten, da nicht alle sozialen Schichten gleichermassen in die Informationsgesellschaft integriert sind. Insbesondere die zweite, nationale Ebene, die sich mit der unterschiedlichen Nutzung von Informations- und Kommunikationsressourcen innerhalb einer Gesellschaft beschäftigt, ist im vorliegenden Kontext von Bedeutung. Sie führt nicht zuletzt auch zur gesellschaftlichen Problematik der ‘demokratischen’ Kluft. Diese beschreibt die ungleiche Nutzung des virtuellen (digitalen) Raums durch verschiedene politische Gruppen und weist darauf hin, dass einzelne Gesellschaftsschichten aus dem politischen Geschehen, u.a. auch infolge fehlender digitaler Zugangsmöglichkeiten, ausgeschlossen werden. Ihre Interessen werden demnach in der öffentlichen Debatte nicht angemessen wahrgenommen, unter anderem, weil sie auch durch keine Lobby vertreten werden. Daher ist ihre Einflussnahme auf die öffentliche Meinungsbildung sehr begrenzt. Entsprechend besteht ein Risiko, dass politische Partizipationsrechte als Folge fehlender digitaler Kompetenzen (zusätzlich) beschnitten werden.

Volks­wirt­schaft­liche Folgen

Auf einer ökonomischen Ebene lässt sich festhalten, dass es Betroffenen durch die steigenden Anforderungen an digitale Grundkompetenzen zunehmend schwerfällt, dem beruflichen Anforderungsprofil zu entsprechen (sogenannter ‘Mismatch’) und mit der technologischen Entwicklung Schritt zu halten. Dies mit Folgen für die Volkswirtschaft: Einerseits gibt es Anzeichen, dass sich das Lohngefälle, insbesondere bei Geringqualifizierten, weiter vergrössert. Hieraus entstehen Konsequenzen für das Umfeld der Betroffenen, sei es aus finanzieller und/oder sozialer Sicht, es stellen sich aber auch Fragen zu fairen Entlohnungssystemen auf betrieblicher und gesamtwirtschaftlicher Ebene. Andererseits haben geringe digitale Kompetenzen ein erhöhtes Risiko für Phasen der Arbeitslosigkeit und eine erschwerte Integration in den Arbeitsmarkt zur Folge. Auch dies ist mit entsprechenden volkswirtschaftlichen Auswirkungen und Kosten verbunden, die zukünftig noch stärker sichtbar zu werden drohen.

Durch die Digitalisierung nimmt der Bedarf an qualifizierten Fachkräften weiter zu. Die Sicherstellung der Wettbewerbsfähigkeit hiesiger Unternehmen setzt ein genügend grosses Angebot an gut qualifizierten Fachkräften voraus, wobei grosse Kontroversen darüber bestehen, inwieweit der ‘digitale’ Strukturwandel Arbeitsplätze eliminiert oder selbst Beschäftigungsmöglichkeiten in neuen Arbeitsbereichen schafft. Gewiss sind hierzulande die Voraussetzungen grundsätzlich gut, dass sich durch den digitalen Strukturwandel attraktive Chancen ergeben und neue Berufsmarktperspektiven entstehen. Damit diese volkswirtschaftlichen Herausforderungen aber gemeistert werden können und die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Schweiz bewahrt werden kann, müssen die staatlichen und betrieblichen Strukturen sicherstellen, dass die Arbeitnehmenden mit der Entwicklung Schritt halten können und allfällige negative Konsequenzen der Digitalisierung für Betroffene durch entsprechende Angebote und Hilfeleistungen abgefedert werden. Dazu sind zivile, wirtschaftliche und politische Akteure gefordert, den Bedarf an Bildung und zusätzlicher Unterstützungsmassnahmen zu evaluieren und zeitnah aktiv zu werden.

Digitale Inklusion als Chance

Für den sozialen und kulturellen Zusammenhalt ist es von grösster Bedeutung, dass Menschen mit bereits vorhandenen oder in naher Zukunft entstehenden Kompetenzlücken an digitalen Kompetenzen sich nicht in prekären Lebenssituationen wiederfinden, nicht von Angeboten und Dienstleistungen ausgeschlossen werden, ihre politischen Partizipationsrechte ausüben können, angemessene Hilfe und Unterstützung erhalten und letztlich ihre chancengleiche, gesellschaftliche Teilhabe gewährleistet ist. Die technologische Innovation ist zwar nicht ‘per se’ dafür verantwortlich, Ungleichheiten zu verursachen. Doch hat die Digitalisierung entgegen früheren Annahmen nicht zur (erwünschten) Demokratisierung der Gesellschaft beigetragen, sondern soziale und digitale Bruchlinien verstärkt. Diese Tendenzen lassen sich nur durch verstärkte Bildungsbemühungen im Bereich digitaler Befähigung respektive digitaler Partizipation sowie der Aufrechterhaltung analoger Zugänge auffangen. Sie sind massgebend, um das Recht auf lebenslanges Lernen, die Sicherstellung gesellschaftlicher Integration, den Zugang zu staatlichen, kulturellen und edukativen Ressourcen und Dienstleistungen sowie die Integrität und Unabhängigkeit aller Gesellschaftsschichten gewährleisten zu können.

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Literaturhinweise:

Bundesamt für Kommunikation. 2020. Strategie Digitale Schweiz, abrufbar unter: Zur Website.

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Kluzer Stefano, Punie Yves, Vuorikari, Riina. 2022. DigComp 2.2: The Digital Competence Framework for Citizens. With new examples of knowledge, skills and attitudes. Luxembourg Publication Office of the European Union, abrufbar unter: PDF-Dokument.

Peter, Marc K, Christ Miriam, Lindeque, Johan, Mändli Lerch, Strohm, Volker. 2022. Digitale Schweiz 2022: Monitor Bank WIR #1. Projektbericht. FHNW Hochschule für Wirtschaft, gfs-zürich, Bank WIR. Basel und Olten, Juni. Abrufbar unter: PDF-Dokument.

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Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innvoation SBFI. 2019. Orientierungsrahmen Grundkompetenzen in Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), abrufbar unter: Zur Website.

Weitere verwendete Literatur

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