Folgen für Betroffene

Wer heute in der Schweiz nicht über genügend Schriftsprachkompetenzen verfügt, erlebt oft Schwierigkeiten, am sozialen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Leben teilzunehmen. Betroffene Menschen sind tagtäglich mit Aufgaben konfrontiert, in denen ihre Lese- und Schreibfähigkeiten nicht ausreichen. Für viele Betroffene heisst dies, die täglichen, anspruchsvollen Aufgaben mit überdurchschnittlichem Aufwand zu bewältigen. Situationen, in denen die Schrift gebraucht wird, werden vermieden und Schwächen weitmöglichst verborgen. Längere oder anspruchsvollere Texte werden häufig beiseitegelassen oder die Lektüre wird nach kurzer Zeit frustriert aufgegeben. Trotz ihrer diesbezüglichen Schwierigkeiten meistern Betroffene den Alltag oft relativ gut. Doch die damit verbundenen Schamgefühle und das meist geringe Selbstwertgefühl sind belastend und können gesundheitliche und soziale Probleme verursachen.

Betroffene entwickeln vielfach Vermeidungs-, Verheimlichungs- und teilweise bewundernswerte Bewältigungsstrategien. Sie sind geübt darin, ihre Schwierigkeiten zu verbergen. Dies macht es für Menschen aus ihrem Umfeld schwierig, Handlungen, Aussagen und Reaktionen richtig zu interpretieren. Häufig sind Missverständnisse die Folge:

  • Vorgesetzte halten ihre Mitarbeitenden für faul oder dumm, da sie die ihnen übertragenen Arbeiten nicht oder nur ungenügend erledigen.
  • Kinder haben das Gefühl, dass die Eltern nicht an ihnen interessiert sind.
  • Beratende Menschen (etwa vom RAV, Sozialdienst oder anderen Institutionen) nehmen ihre Klientinnen und Klienten als nicht kooperativ oder aggressiv wahr.

Prekär wird die Lage für Betroffene vor allem dann, wenn sich deren Lebenssituation ändert und bestehende Strategien nicht mehr greifen: zum Beispiel beim Verlust der Arbeitsstelle, Schuleintritt eines Kindes oder der Trennung der Lebenspartnerin oder vom Lebenspartner. In diesen Schlüsselsituationen wird oft der Leidensdruck spürbarer und der Drang nach einer Veränderung bzw. Verbesserung der persönlichen Situation gewinnt an Bedeutung.

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Literaturhinweise:

Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien (BASS), Jürg Guggisberg, Patrick Detzel und Heidi Stutz. 2007. Volkswirtschaftliche Kosten der Leseschwäche in der Schweiz, Hrsg. Bundesamt für Statistik, abrufbar unter: PDF-Dokument.

Egloff, Birte, Peter Hubertus, Michael Grosche und Jascha Rüsseler. 2011. Funktionaler Analphabetismus im Erwachsenenalter: eine Definition. In Zielgruppen in Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener: Bestimmung, Verortung, Ansprache, Hrsg. Projektträger im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Bielefeld: Bertelsmann, abrufbar unter: PDF-Dokument.

Grotlüschen, Anke, Buddeberg, Klaus, Dutz, Gregor, Heilmann, Lisanne, Stammer, Christopher. 2019. LEO 2018 – Leben mit geringer Literalität. Pressebroschüre, Hamburg, abrufbar unter: zur Website.

Notter, Philipp, Claudia Arnold, Emanuel von Erlach und Philippe Hertig. 2006. Lesen und Rechnen im Alltag: Grundkompetenzen von Erwachsenen in der Schweiz Hrsg. Bundesamt für Statistik. Neuchâtel: Office fédéral de la statistique (OFS), abrufbar unter: Zur Website.

Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innvoation SBFI. 2023. Orientierungsrahmen Grundkompetenzen im Bereich Sprache, abrufbar unter: Zur Website. 

Weitere verwendete Literatur

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