Definition un­zureichen­der digitaler Kompe­tenzen

Ob die individuellen digitalen Kompetenzen ausreichend sind, ist wesentlich durch die gesellschaftlichen und beruflichen Anforderungen bedingt. Unzureichende Kenntnisse im Bereich der digitalen Grundkompetenzen sind entsprechend nicht in einem allgemeinen Sinne definiert. Einerseits sind in verschiedenen Alltagssituationen oder Berufsfeldern unterschiedliche digitale Fähigkeiten gefragt. Andererseits ergeben sich abhängig vom jeweiligen Sozialmilieu unterschiedliche Problemfelder. Schliesslich entstehen individuelle Lücken zunehmend als Folge des technologischen Wandels und der gesellschaftlichen Entwicklung. So werden bestimmte digitale Fertigkeiten, die früher nur von Experten beherrscht wurden, heute als selbstverständlich vorausgesetzt.

Das SBFI bezieht sich dieser Logik folgend in seinem Orientierungsrahmen (SBFI 2019) zu den digitalen Kompetenzen auf alltägliche Aufgaben des Privat- und Berufslebens, für deren Bewältigung unterschiedliche digitale Kompetenzen notwendig sind. Kompetenzlücken liegen entsprechend dann vor, wenn eine problemlose Bewältigung dieser Situationen nicht gegeben ist, beispielsweise wenn:

  • die Teilhabe am sozialen Leben erschwert wird
  • die Kommunikation mit dem Umfeld beeinträchtigt ist
  • alltägliche Handlungen nur eingeschränkt möglich sind
  • Probleme bei der Informationsbeschaffung bestehen
  • mit der technologischen Entwicklung am Arbeitsplatz nicht mehr Schritt gehalten werden kann
  • politische Rechte nur begrenzt wahrgenommen werden können

Mit den steigenden Anforderungen an die digitalen Grundkompetenzen sind zunehmend auch Personengruppen von Schwierigkeiten im Bereich der digitalen Kompetenzen betroffen, die bisher den sozialen und beruflichen Anforderungen genügten. Dies unterstreicht, dass diesbezügliche individuelle Kompetenzlücken stets situativ definiert werden müssen und sich graduell in Abhängigkeit der Anforderungen entwickeln. Als mögliche Orientierungshilfe im Hinblick auf diese situativ-graduelle Definition bzw. zu deren weiteren Differenzierung kann folgende dreistufige Unterteilung nach Grundfertigkeiten, Befähigung und Kreativität dienen (angelehnt an das Modell von Coffin Murray und Pérez 2014):

  • 1. Kompetenzebene ’Grundfertigkeiten’: Bei Defiziten im Bereich der ‘Grundfertigkeiten’ (englisch Literacy) ist davon auszugehen, dass alltägliche digitale Anwendungen Schwierigkeiten verursachen. Beispielsweise kann lediglich ein begrenzter Funktionsumfang eines Smartphones oder eines Computers genutzt werden. Dadurch sind der Zugang zu Informationen als auch Kommunikationsmöglichkeiten deutlich eingeschränkt. Betroffenen droht der soziale Ausschluss. Ausserdem ist zu erwarten, dass die berufliche Integration schwerfällt, da diese Grundfertigkeiten im Berufsleben gefragt sind.
  • 2. Kompetenzebene ‘Befähigung’: Digitale Defizite auf Stufe ‘Befähigung’ (englisch Aptitude) zeigen sich im Bereich der Informationsbeschaffung, der Entwicklung eigener Problemlösungsstrategien und der fundierten Entscheidungsfindung. Betroffenen macht es Mühe, digitale Medien über Standardanwendungen hinaus zu nutzen oder erweiterte Problemlösungsansätze durch Kombination digitaler Anwendungen zu entwickeln. Schwierigkeiten werden dabei oft erst auf den zweiten Blick sichtbar, indem etwa die Plausibilität von Informationen und/oder Anweisungen nicht überprüft werden kann oder wenn eine erhöhte Anfälligkeit für digitale Risiken (Virenbefall, Scam/Vorschussbetrug, Verlust der Privatsphäre etc.) besteht. Darüber hinaus sind Betroffene weniger selbständig und bei komplexeren Aufgaben auf externe Hilfe angewiesen. Die fortschreitende Digitalisierung der Gesellschaft erfordert zunehmend Kompetenzen auf dieser Ebene, da sie als Voraussetzung für eine selbstbestimmte und problemorientierte Vorgehensweise in Beruf und auch im privaten Alltag gelten.
  • 3. Kompetenzebene ‘Kreativität’: Die höchste Kompetenzebene ‘Kreativität’ (englisch Creativity) beschreibt das fortgeschrittene Verständnis von technischen Zusammenhängen und der Funktionsweise verschiedener Technologien. Es erlaubt neue digitale Inhalte zu schaffen und/oder zu verändern. Ob fehlendes Wissen auf dieser Ebene als Kompetenzlücke bezeichnet werden kann, ist jedoch fraglich. Zwar bringt ein fundiertes Knowhow Vorteile, die z.B. im beruflichen Umfeld genutzt werden können, doch sind Lücken auf dieser höchsten Kompetenzebene nicht ‘per se’ problematisch.

Besonders Kompetenzlücken im Bereich der digitalen Grundfertigkeiten haben weitreichende Konsequenzen. Betroffenen droht der Ausschluss aus der Gesellschaft und Berufswelt. Dagegen müssen Defizite auf Stufe ‘Befähigung’ nicht immer schwerwiegende Folgen haben. Dennoch ist zu erwarten, dass durch die Digitalisierung in den kommenden Jahren auch auf dieser fortgeschrittenen Kompetenzebene die gesellschaftlichen und beruflichen Anforderungen weiter zunehmen werden und sich die Grenze der vorausgesetzten Grundfertigkeiten zunehmend nach oben verschiebt.

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Literaturhinweise:

Bundesamt für Kommunikation. 2020. Strategie Digitale Schweiz, abrufbar unter: Zur Website.

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Kluzer Stefano, Punie Yves, Vuorikari, Riina. 2022. DigComp 2.2: The Digital Competence Framework for Citizens. With new examples of knowledge, skills and attitudes. Luxembourg Publication Office of the European Union, abrufbar unter: PDF-Dokument.

Peter, Marc K, Christ Miriam, Lindeque, Johan, Mändli Lerch, Strohm, Volker. 2022. Digitale Schweiz 2022: Monitor Bank WIR #1. Projektbericht. FHNW Hochschule für Wirtschaft, gfs-zürich, Bank WIR. Basel und Olten, Juni. Abrufbar unter: PDF-Dokument.

Rat der Europäischen Union. 2018. Empfehlung des Rates vom 22. Mai 2018 zu Schlüsselkompetenzen für lebenslanges Lernen. Rat der Europäischen Union, abrufbar unter: PDF-Dokument.

Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innvoation SBFI. 2019. Orientierungsrahmen Grundkompetenzen in Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), abrufbar unter: Zur Website.

Weitere verwendete Literatur

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