Grundkompetenzen in der Schweiz

Grundkompetenzen (Lesen & Schreiben, mündliche Ausdrucksfähigkeit, Alltagsmathematik und digitale Kompetenzen) sind eine zentrale Voraussetzung für die gesellschaftliche, kulturelle, wirtschaftliche und politische Integration. Sie sind relevant, um den Alltag erfolgreich zu meistern und sich ein Leben lang weiterzubilden. Grundkompetenzen sind keine Selbstverständlichkeit. In der Schweiz haben zahlreiche Erwachsene Lücken in den Grundkompetenzen - selbst wenn sie hier geboren und zur Schule gegangen sind.

In der Schweiz umfassen die Grundkompetenzen Erwachsener grundlegende Kenntnisse und Fertigkeiten in den folgenden Bereichen (Grundlage: Bundesgesetz über die Weiterbildung WeBiG, Art. 13)

a) Lesen und Schreiben, mündliche Ausdrucksfähigkeit in einer Landessprache 

b) Grundkenntnisse der Mathematik 

c) Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien

  • Ca. 16 % der 16-65-Jährigen (800'000 Personen) verfügt nicht über ausreichende Lese- und Schreibkompetenzen 
  • Etwa 10 % der Bevölkerung spricht keine Amtssprache als Hauptsprache 
  • Etwa 9 % der Bevölkerung hat Mühe, eine alltägliche Rechenaufgabe zu lösen 
  • Rund 20% der Schweizer Bevölkerung verfügt nur über geringe oder gar keine digitalen Grundkenntnisse 

Ausser bei der mündlichen Ausdrucksfähigkeit in einer Landessprache, handelt es sich nicht um ein reines Integrationsphänomen im Zusammenhang mit Migration. Es sind auch Menschen von geringen Grundkompetenzen betroffen, die in der Schweiz geboren sind und das schweizerische Bildungssystem durchlaufen haben.

Die gesellschaftlichen und beruflichen Anforderungen verändern sich im Laufe der Zeit. Deshalb sind allfällige Kompetenzlücken im Erwachsenenalter nicht zwingend auf eine fehlende Ausbildung in der Jugendzeit zurückzuführen. Zum einen kommen neue Kompetenzbereiche dazu, etwa die Bedienung eines Touch-Screens oder die zielorientierte Nutzung des Internets. Es wird damit notwendig, sich diese neuen Fähigkeiten im Erwachsenenalter anzueignen. Zum anderen gehen Kompetenzen verloren, werden sie nicht fortlaufend genutzt.

Erwerb und Erhalt aus­reichen­der Grundkompetenzen als lebenslange Herausforderung

Wie repräsentative Erhebungen zeigen, verfügen in der Schweiz trotz regulärem Schulbesuch nicht alle Erwachsenen über ausreichende Grundkompetenzen. Vielen Menschen fällt es in zunehmend schwer, bestehende respektive bereits erlernte Grundkompetenzen zu erhalten und laufend den Anforderungen anzupassen. Diese Entwicklung wird durch den gesellschaftlichen und technologischen Fortschritt verschärft und zunehmend sichtbar, mit entsprechenden Folgen für die gesellschaftliche und berufliche Integration von betroffenen Menschen. Dies hat die Politik dazu veranlasst, sich eingehend mit diesem Thema zu befassen und Massnahmen zu ergreifen.

Das Weiterbildungs­gesetz als gesetz­licher Auftrag zur Grund­kompetenz­förderung

Die Förderung der Grundkompetenzen Erwachsener war vor 2017 auf Bundesebene im Kulturförderungsgesetz geregelt, ein besonderes Augenmerk galt der Illettrismusbekämpfung. Das Gesetz gab dem Bund die Möglichkeit, Massnahmen zu treffen, die der Bekämpfung des Illettrismus und der Förderung des Lesens dienten.

2017 löste das Weiterbildungsgesetz (WeBiG) das Kulturförderungsgesetz auf nationaler Ebene ab. Das neue Gesetz richtet sich stärker auf die Grundkompetenzen aus und berücksichtigt zusätzlich Rechenkompetenzen und digitale Kompetenzen. Das Weiterbildungsgesetz will den Erwerb und Erhalt von Grundkompetenzen der gesamten Bevölkerung sicherstellen, damit Arbeitsmarktchancen gewahrt und alle von Weiterbildungsangeboten im Zusammenhang mit dem lebenslangen Lernen profitieren können. Das Gesetz hat zum Ziel, die Koordination der bestehenden Massnahmen zwischen Bund und Kantonen zu verbessern. Ausserdem räumt es dem Bund Möglichkeiten ein, Kantonen finanzielle Unterstützungsbeiträge für Massnahmen zum Erwerb und Erhalt von Grundkompetenzen Erwachsener auszurichten.

Grundkompetenzen als Grundlage für Weiterbildung

Das Weiterbildungsgesetz zielt insbesondere darauf ab, den chancengleichen Zugang zur Weiterbildung zu fördern, Bildungshemmnisse aller Art abzubauen und die Integration aller Menschen in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt sicherzustellen. Dazu sind gerade auch diejenigen Personen zu gewinnen und zu befähigen, die bisher keine Weiterbildungsangebote beanspruchen. Dies stützt auf Erhebungen (siehe z.B. Mikrozensus Aus- und Weiterbildung 2016 des Bundesamts für Statistik), die zeigen, dass die Teilnahme an Weiterbildung sehr ungleich verteilt ist und primär gut gebildete Bevölkerungsgruppen profitieren. Diese Disparität ist insbesondere auch durch ungleiche Teilnahmechancen, unter anderem bedingt durch fehlende Grundkompetenzen in den Bereichen Lesen und Schreiben, Rechnen und/oder Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) begründet.

Die Teilnahme an Weiterbildung ist essenziell, um mit dem Strukturwandel von Gesellschaft und Wirtschaft, der Transformation zu einer Wissensgesellschaft und den daraus entstehenden neuen Anforderungen schritthalten zu können. Verschiedene Faktoren, u.a. der technologische Fortschritt, sorgen für grosse Veränderungen in der Gesellschaft und der Berufswelt. Menschen müssen sich entsprechend nicht nur in den Arbeitsmarkt integrieren, sondern darin auch verbleiben können. Lebenslanges Lernen wird somit für viele zur Norm, da das Lernen nicht mehr wie bisher vor allem an einen bestimmten Lebensabschnitt – vorwiegend in der Jugend – gekoppelt ist. Stattdessen handelt es sich um einen stetigen Prozess in verschiedensten Kontexten und Formen.

Lesen & Schreiben

Bei Lesen und Schreiben steht die schriftliche Kommunikation im Vordergrund. Sie ist allgegenwärtig. Die Fähigkeit, Texte verstehen und schreiben zu können ist essenziell. Fehlende Kompetenzen in diesem Bereich erschweren alltägliche Handlungen und die gesellschaftliche Integration, da sie wichtige Kommunikationsmittel darstellen. Die Lese- und Schreibkompetenz kann daher wie folgt definiert werden:

Die Fähigkeit, schriftliches Textmaterial zu verstehen, zu nutzen und darüber zu reflektieren, um eigene Ziele zu erreichen, das eigene Wissen und Potenzial weiterzuentwickeln und am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Definition nach OECD 2005

Sprechen

Die mündliche Ausdrucksfähigkeit bzw. Sprechen ist essenziell für die kulturelle, soziale, politische und wirtschaftliche Integration und die Möglichkeit, sich in einem komplexen Umfeld zurechtzufinden. Laut dem Weiterbildungsgesetz ist in der Schweiz damit die Fähigkeit gemeint, sich in der lokalen Amtssprache verständigen zu können. Personen mit Förderbedarf in der mündlichen Ausdrucksfähigkeit sind in der Schweiz demnach Personen, die die entsprechende Amtssprache nicht beherrschen, weil die in die Schweiz zugewandert sind.

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Um sich im Alltag zu orientieren oder Entscheidungen zu treffen, muss man oftmals Zahlen, Mengen und Grössen beiziehen. Hierzu sind Fertigkeiten wie Rechnen, Schätzen und Vergleichen von Relevanz. Unter Grundkenntnisse der Mathematik, Rechenkompetenzen oder dem in der Fachliteratur gebräuchlichen Begriff Alltagsmathematik wird dieses Wissen respektive Können zusammengefasst. Dabei stehen der Umgang mit Zahlen, die konkrete Anwendung sowie pragmatische Lösungsmethoden, wie sie üblicherweise durch Erwachsene beherrscht werden, im Fokus:

Das Erkennen und Verwenden von numerischen Informationen im Alltag – das heisst mit Hilfe der Mathematik Probleme lösen, beschreiben und erklären sowie abschätzen zu können, welche Ereignisse (aufgrund von Wahrscheinlichkeiten) möglicherweise eintreten werden.Übersetzung nach European Association for the Education of the Adults 2018

Die Begriffe Rechenschwäche oder Rechenstörung (Dyskalkulie) beschreiben die Beeinträchtigung, nicht über ausreichende Mathematikkompetenzen zu verfügen: Betroffene haben in der Folge Schwierigkeiten, den Anforderungen im Alltag (Einkaufen, Zahlungen tätigen, Distanzen einschätzen etc.) oder dem Berufsleben (Listen und Rechnungen kontrollieren, Tabellenkalkulation etc.) zu genügen. Fehlende Rechenfertigkeiten erschweren somit die Teilnahme am gesellschaftlichen, kulturellen, politischen und/oder wirtschaftlichen Leben.

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Digitale Kompetenzen werden begrifflich meist mit IKT-Kompetenzen, das heisst Kompetenzen in Informations- und Kommunikationstechnik, gleichgestellt:

Zu den IKT-Fertigkeiten zählt die Fähigkeit, digitale Inhalte zu nutzen, aufzurufen, zu filtern, zu beurteilen, zu erstellen, zu programmieren und zu teilen. Der Einzelne sollte in der Lage sein, Informationen, Inhalte, Daten und digitale Profile zu verwalten und zu schützen sowie Programme, Geräte, künstliche Intelligenz oder Roboter zu erkennen und auf effektive Weise zu nutzen. Definition aus EU-Referenzrahmen durch Rat der Europäischen Union 2018

Die Konsequenzen fehlender digitaler Kompetenzen sind vielseitig: Zum einen besteht die Gefahr eines gesellschaftlichen Ausschlusses, da der Zugang zu Kommunikations- und Informationsmitteln sowie verschiedensten Dienstleistungen (Behördendienstleistungen, Finanzdienstleistungen, Ticketkäufe, etc.) erschwert ist oder gar verunmöglicht wird. Zum anderen drohen betroffene Personen in der Berufswelt den Anschluss zu verlieren, da stetig höhere Anforderungen an digitale Kompetenzen gestellt werden.

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Um den Ansprüchen des privaten, beruflichen oder gesellschaftlichen Alltags gewachsen zu sein, sind verschiedenste Kompetenzen notwendig. Erwachsene nehmen in ihrem Alltag situativ unterschiedliche Rollen ein, die jeweils spezifische Fähigkeiten und Kompetenzen erfordern: sei es als Lernende, Elternteil, Arbeitskraft, Bürger*in oder Konsument*in.

Es gibt eine Vielfalt von Begriffen, die Kompetenzen zur Bewältigung des Alltags und komplexer Situationen beschreiben: Grundkompetenzen (Schweiz), Basisbildung (Österreich), Grundbildung (Deutschland), Schlüsselkompetenzen (Europäische Komission), Kernkompetenzen, Lebenskompetenzen (Life Skills), überfachliche oder fachübergreifende Kompetenzen, Querschnittskompetenzen, Metakompetenzen, transversale Kompetenzen, Literacies usw. Bei genauerer Betrachtung unterscheiden sie sich in ihrer Definition, teilen sich aber im Grundsatz einen gemeinsamen Nenner: Es handelt sich dabei um Kompetenzen, die bei der erfolgreichen Lebensbewältigung und beim Erwerb von neuen Kompetenzen entscheidend sind.

Ein Begriff, der ebenfalls im Zusammenhang mit der Bewältigung eines komplexen Alltags verwendet wird, ist «Literacy». Die ursprüngliche Bedeutung von Literacy oder «Literalität» ist die Fähigkeit, mit Schrift lesend und schreibend umgehen zu können. Mit dem Plural Literacies wurde seine Bedeutung ausgeweitet. Literacies zu unterschiedlichen Themen (zum Beispiel Financial, Health, Environmental oder digital Literacy) ermöglichen es, erfolgreich in einer vielfältigen und häufig digitalisierten Welt zu interagieren, kritisch zu denken, sich neuen Umständen anzupassen, selbstbestimmt und autonom handeln zu können, Probleme zu lösen und nachhaltige Entscheidungen zu treffen. Sie helfen in einer globalen Gesellschaft zurechtzufinden, weil man fähig ist, Sprache, Normen, Werte und sozialen Dynamiken zu verstehen. Diese breite – und nicht abgeschlossene – Palette an Kompetenzen bzw. Literacies bildet das Fundament für persönliches Wachstum, berufliche Entfaltung, lebenslanges Lernen und aktive Teilhabe an einer komplexen Gesellschaft.

Zunehmend umfasst das Verständnis von Literalität ein erweitertes und wachsendes Repertoire an Kompetenzen, die notwendig sind, um sich an technologiegesättigten und komplexen Gesellschaften beteiligen zu können: Informations-Literalität, Medien-Literalität, digitale Literalität, Gesundheits-Literalität, Wissenschafts-Literalität, emotionale Literalität.Steyn, Melissa/Dankwa, Serena O. (2021).

Literaturhinweise:

Bundesamt für Statistik. 2017. Weiterbildung in der Schweiz 2016. Neuchâtel: Bundesamt für Statistik, abrufbar unter: Zur Website.

European Association for the Education of the Adults. 2018. The life skills approach in Europe, abrufbar unter: PDF-Dokument.

Grotlüschen, Anke, und Wibke Riekmann (Hrsg.). 2012. Funktionaler Analphabetismus in Deutschland: Ergebnisse der ersten leo. - Level-One Studie. Münster New York München Berlin: Waxmann, abrufbar unter: PDF-Dokument.

OECD. 2005. Definition und Auswahl von Schlüsselkompetenzen, abrufbar unter: PDF-Dokument

Rat der Europäischen Union. 2018. Empfehlung des Rates vom 22. Mai 2018 zu Schlüsselkompetenzen für lebenslanges Lernen. Rat der Europäischen Union, abrufbar unter: PDF-Dokument.

Schweizerische Eidgenossenschaft. 2013. Botschaft zum Bundesgesetz über die Weiterbildung, abrufbar unter: PDF-Dokument.

Schweizerische Eidgenossenschaft. 2017. Bundesgesetz über die Weiterbildung (WeBiG), abrufbar unter: Zur Website.

Schweizerische Eidgenossenschaft. 2018. Häufig gestellte Fragen zum Weiterbildungsgesetz, (WeBiG), abrufbar unter: PDF-Dokument .

Weitere verwendete Literatur

 

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